Die vierte Corona-Welle hat offiziell begonnen. Ein Lungenarzt aus Hessen warnt vor der Fokussierung auf Intensivkapazitäten und Todesfälle. Inzwischen sei die Situation ganz anders. Die Patienten mit schweren Verläufen seien jetzt jünger und fast immer ungeimpft, so der Lungenspezialist.
Am Donnerstagabend kam das Robert-Koch-Institut (RKI) zur Feststellung, dass Deutschland sich in der vierten Corona-Welle befindet. Führende Ärzte stellen einen weiten Befund dazu: Die vierte Welle ist anders. Die Patienten sind jünger.
Cihan Çelik, Lungenarzt im Covid-Bereich des Klinikums Darmstadt sprach mit der „FAZ“ über seine Erfahrungen und Prognosen. Seine Patienten seien jetzt im Schnitt „knapp über 40“, sagt der Mediziner. Dem Meisten davon bliebe zwar die Intensivstation erspart. Dennoch sehe man viele schwere Verläufe. „Diese Patienten sind auch schwer erkrankt, und sie dürfen nicht vergessen werden“, mahnt Çelik. Doch wenn die Politik vor allem die Belegung der Intensivstationen und die Todesfälle als Maßstab nehme, würden diese schweren Verläufe alle ausgeblendet. So bekomme man kein reales Bild vom Stand der Pandemie im Land.
Auch Uwe Janssens von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) sieht eine Verschiebung in der Altersstruktur der Kranken. „Nur 13 Prozent der hospitalisierten Patienten sind über 80, rund 40 Prozent gehören inzwischen zur Altersgruppe der 35- bis 39-Jährigen”, sagt der Mediziner des DIVI-Präsidiums.
Die Betroffenen seien meist ungeimpft, trotzdem sehen die wenigsten sich als Impfgegner. „Man hört eher Sachen wie: ‚Ich bin organisatorisch noch nicht dazu gekommen‘“ oder „‘ich habe gedacht, mit einem guten Immunsystem bin ich geschützt‘. Vielen Menschen lagen nicht die richtigen Informationen vor, um Risiko und Nutzen einschätzen zu können“, stellt Çelik fest und sie „bereuen es bisher alle, dass sie nicht geimpft waren. Das gilt auch für Patienten, die zuvor nicht an das Virus geglaubt haben oder Impfgegner waren.“
Im Klinikum Darmstadt musste der Covid-Bereich auf Normalstation diese Woche wieder vergrößert werden. Von einem Notstand kann man laut Çelik aber nicht sprechen: „Aktuell kommen wir gut zurecht“, aber das stehe und falle damit, wie viele Patienten es werden.
Wenn Corona in die endemische Phase komme, also zum dauerhaften Bestandteil unseres Lebens werde, müsse die Politik sich der Frage stellen, wie viele Tote man jährlich in Kauf nehme. Der Lungenarzt vermutet, dass man sich an der Influenza orientierten werde, wünscht sich jedoch persönlich, dass auch diese Zahl sinkt: „Meiner Meinung nach war es nie richtig, jedes Jahr Tausende Grippetote zu akzeptieren. Gerade die Lungenärzte haben seit Jahren dazu aufgerufen, dass sich mehr Menschen mit Risikofaktoren gegen Influenza impfen lassen.“
Mit der Nutzung unserer Webseite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden.