So eindringlich warnt Chef-Virologe Christian Drosten selten vor einer Eskalation der Corona-Situation in Deutschland. Er sieht das Land in einer „Notfallsituation“ und hält neue Kontaktbeschränkungen für denkbar.
Kostenfreie Bürgertests, flächendeckende 3G oder selbst 2G-Massnahmen versprechen keinen ausreichenden Erfolg während der vierten Welle, so Virologe Christian Drosten. „Wir sind schlimmer dran als vor einem Jahr“, sagte er in der neuen Podcast-Folge des NDR. Es sei höchste Zeit, zu handeln, denn Deutschland befände sich in einer „echten Notfall-Situation“.
„Wir haben 15 Millionen Leute, die sich hätten impfen lassen können, die aber nicht geimpft sind“ so der Virologe. Darunter seien viele mit hohem Risikoprofil, weil sie entweder grunderkrankt sind oder alt. Gerade jetzt würden Ungeimpfte „als neue schwere Fälle“ auf den Intensivbetten auffallen. Angesichts der rasant steigenden Covid-Zahlen – das Robert-Koch-Institut (RKI) meldet heute vorläufig 39.676 Corona-Neuinfektionen – sieht Drosten den mittel- und langfristigen Ausweg aus der Pandemie klar: „Wir müssen die Impflücken schließen.“ Das „ideelle Ziel“ müsse „eine dreifach komplett durchgeimpfte Bevölkerung“ sein.
Die Delta-Variante habe die Karten neu gemischt. Denn Geimpfte sind inzwischen wieder zu Überträgern geworden. „Geimpfte bewegen sich ja schon sehr frei in der Gesellschaft“, so der Leiter des Instituts für Virologie an der Charité Berlin. Selbst würden Geimpfte zwar oftmals allenfalls nur leichte Symptome bekommen, doch „das Virus kommt so zu den Ungeimpften und die fallen auf als schwere Fälle“.
Tote und Shut-Down
Würde man jetzt nicht mit härteren Maßnahmen reagieren, sieht Drosten angesichts der Erfahrungen in England auch auf Deutschland bis zu 100.000 weitere Todesfälle zukommen. Er betont: „Das ist eine konservative Schätzung.“
Eigentlich müsse es oberstes Ziel sein, Infektionen zu vermeiden. „Da brauchen wir eine gewisse Art von Übertragungsreduktion, von Kontaktmaßnahmen.“ Kurzfristig müsse man wieder Maßnahmen diskutieren, „die wir eigentlich hofften, hinter uns zu haben“, so Drosten. Der Virologe erwartet einen sehr anstrengenden Winter für die Wirtschaft „mit neuen, sagen wir ruhig: Shutdown-Maßnahmen“.
Der bisherige Verlauf der Pandemie hätte gezeigt, dass eine Verhaltensänderung der Gesamtbevölkerung zum Sinken der Inzidenz beiträgt. „Wenn die Leute ihr Verhalten ändern und die Bedrohung ernster nehmen, hat das einen Effekt.“ Klare Kommunikation sei da sehr wichtig: „Man muss klar machen, dass es sehr ernst ist.“
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