„Der Moment der Impfpflicht ist gekommen“

Es war lange ein Tabu-Thema, dass sowohl von Politikern der Noch-Regierung als auch von der möglichen Ampel vermieden wurde: die Impfpflicht. Jetzt melden sich immer mehr, die eine Impfpflicht im Kampf gegen Corona für notwendig und legitim halten. 

Immer mehr Politiker verlangen eine allgemeine Impfpflicht, u. a. Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther. Der CSU-Vorstand um Bayern-Regent Markus Söder will seit gestern eine bundesweite Verpflichtung zur Corona-Impfung. Söder: „Nur die allgemeine Impfpflicht kann eine dauerhafte Lösung sein.“

Auch aus anderen Parteien kommen immer mehr  entsprechende Forderungen. SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach gegenüber Medien: „Wir müssen anfangen, über eine Impfpflicht nachzudenken.“ Die Zahl der Befürworter wachse täglich. „Ich sehe das wie Frank-Walter Steinmeier. Was muss denn noch passieren, damit die Leute sich bequemen, eine ungefährliche Impfung über sich ergehen zu lassen, zumindest zu dem Zweck, andere zu schützen“. Er bezieht sich dabei auf einen ähnlichen Satz des Bundespräsidenten. „Aus meiner Sicht ist der Moment der Impfpflicht gekommen“, so Lauterbach weiter.

Man sei nun in einer Situation mit dieser Kombination aus unfassbar hoher Ansteckbarkeit der Delta-Variante und einer hohen Zahl derjeniger, die nicht impfwillig sind. „Da müssen wir tatsächlich die allgemeine Impfpflicht erwägen“, so Lauterbach. „Und die würde ich mittlerweile auch befürworten, denn wir bekommen sonst im nächsten Herbst schon wieder das gleiche Problem.“

Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff unterstreicht: „Eine Impfpflicht muss bundesgesetzlich geregelt werden. Wenn die zukünftige Bundesregierung eine entsprechende Novelle vorlegt, dann werde ich das unterstützen.“

Ist die Impfpflicht rechtlich möglich?

Mehrere Rechtsexperten halten eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus verfassungsrechtlich für möglich. Es sei zwar ein besonderer Eingriff, „wenn der Staat jetzt auch noch die körperliche Integrität der Menschen beeinträchtigt“, sagte der Verwaltungsrechtler Hinnerk Wißmann von der Universität Münster der „Welt“. Eine Impflicht sei jedoch das mildere Mittel, „wenn die Alternative ist, den freien Staat in Lockdown-Endlosschleifen abzuschaffen“.

Eine Impflicht sei jedoch das mildere Mittel, „wenn die Alternative ist, den freien Staat in Lockdown-Endlosschleifen abzuschaffen“. Uwe Volkmann, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht an der Goethe-Universität Frankfurt, sagte, die individuelle Eingriffstiefe einer Impfpflicht sei geringer als „die andernfalls erforderlichen gravierenden Freiheitseinschränkungen“.

Auch die Ministerpräsidenten von Bayern und Baden-Württemberg sehen keine juristischen Hindernisse gegen eine allgemeine Impfpflicht. 

“Eine Impfpflicht ist kein Verstoß gegen die Freiheitsrechte. Vielmehr ist sie die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Freiheit zurückgewinnen. Denn unser Grundgesetz schützt nicht eine Freiheit der Willkür. Es folgt vielmehr dem Prinzip der Freiheit in Verantwortung. Es verpflichtet uns dazu, die Freiheiten aller Betroffenen zu gewichten und auf dieser Basis zu entscheiden“, schreiben Söder und Kretschmann in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.