Kriegspolitik & Propaganda: Ein Kampf um Glaubwürdigkeit

Rhetorik ist das Werkzeug von Politikern auf der ganzen Welt. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine am 24. Februar ist dies durch eine intensive Berichterstattung in den Medien mehr denn je spürbar. Und es wird immer schwieriger, Wahrheit und Propaganda voneinander zu unterscheiden. Dieser Krieg ist mehr als ein Kampf zwischen Soldaten. Für beide Seiten ist es auch ein Ringen um Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit.

Der Kampf um moralische Integrität

Laut Rhetorik-Professor Dietmar Till, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Rhetorik an der Universität Tübingen, ist dieser Krieg auch ein Kampf um moralische Integrität und Deutungshoheit, der ausgefochten wird vor einer Weltöffentlichkeit. Till hat sich sein Leben lang mit populistischer Rhetorik befasst, und für ihn ist klar, dass einige der gezeigten Taktiken schon einmal in der Geschichte gesehen wurden.

Im Gespräch mit Catherine Newmark für Deutschlandfunk Kultur zieht Till einen Vergleich zwischen zwei sehr ungleichen Gegnern. Till sagt, dass Wladimir Putin ein klassisches Beispiel für jemanden sei, der bisher keine “Überzeugungsaktion” benötigt habe. Seine Art von Rhetorik braucht nicht zu überzeugen: Sie erlässt Dekrete. Putin bedient sich aber auch eines anderen Musters, das man schon früher gesehen hat – indem er erklärt, dass sein Angriffskrieg eigentlich ein Akt der Verteidigung ist.

Selenskyj, der Social-Media-Virtuose

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hingegen nutzt zeitgemäße Social-Media-Kanäle, um Unterstützung für sein Land zu gewinnen. Seine Art der Rhetorik ist idealtypisch demokratisch geprägt und Selenskyj erhält weltweit viel Anerkennung für sein Charisma und Glaubwürdigkeit. Durch die Nutzung von Instagram und der Macht bewegter Bilder wirkt Selenskyj nahbar und authentisch. Till bezeichnet dies als „Inszenierung der Nichtinszenierung“.

Rhetorik wurde in Deutschland wegen ihrer Fähigkeit, die Wahrheit zu verdrehen, lange misstraut, bis hin zu einem Punkt, an dem sie mehrere hundert Jahre lang verboten wurde. Allerdings, so Immanuel Kant, wäre es weltfremd, zu erwarten, dass öffentliche Reden nur der Rationalität folgen und nicht die Gefühle der Zuhörer ansprechen. Till fügt hinzu, dass das mehr wäre, als man von einem Präsidenten eines Landes im Krieg erwarten könnte: „Ein Philosoph in Königsberg kann sich das leisten, aber ein Politiker in Kiew wahrscheinlich nicht.“